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Freitag, 9. November 2007

Heute morgen stellte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in einem zehnminütigen Deutschlandfunk-Interview noch einmal klar, wie wichtig die Vorratsdatenspeicherung für uns alle ist, wie irrig die Befürchtungen der Datenschützer und wie verantwortungslos deren Versuche, das Volk zu verdummen.

Nicht nur, dass sie dabei mal wieder ihren Kritikern grundlos Unwissenheit unterstellte - ihr gelang auch gleich eine doppelte Neuauflage der leichtfertigen Relativierung des Grundgesetzes, die Bundesinnenminister Schäuble Anfang Juli in einem denkwürdigen Spiegel-Interview vorgenommen hatte: Auf die Frage nach einer roten Linie, die der Gesetzgeber nicht überschreiten dürfe, ohne unsere Gesellschaft hinsichtlich ihrer Rechtsstaatlichkeit unwiderruflich zu verändern, antwortete Schäuble damals, diese Frage sei hysterisch und daher ohnehin nicht zulässig, aber die rote Linie sei "ganz einfach: Sie ist immer durch die Verfassung definiert, die man allerdings verändern kann."

Bei Frau Zypries klingt das folgendermaßen:

Schütte: Wir haben zu Beginn über die Befürchtungen der Bürger über einen Überwachungsstaat gesprochen. Wo ist für Sie, Frau Zypries, eine Grenze erreicht bei der Erfassung von Daten?

Zypries: Man kann das, Herr Schütte, nicht so allgemein sagen. Das hängt doch immer ganz stark davon ab, was wir für eine Gefahrenlage haben. Ich sage mal, wären solche Attentate wie in Madrid nicht passiert, dann wäre man nicht auf die Idee gekommen zu sagen, das sind wichtige Daten für uns zur Aufklärung solcher terroristischen Anschläge, und deshalb wollen wir die europaweit jetzt speichern. Das heißt also, je mehr wir solche terroristischen Anschläge haben oder auch uns anderen Formen von schwerster Kriminalität gegenüber sehen wie zum Beispiel organisierter Kriminalität, oder wenn der Rechtsradikalismus wieder stärker werden sollte, dann muss man natürlich als abwehrbereiter Staat zur Verteidigung unserer demokratischen Rechte auch bereit sein, etwas zu tun. Wo diese Grenze im Einzelnen ist, kann man so allgemein nicht sagen, sondern das muss dann immer sehr konkret abgewogen werden.

Diese Proklamation eines Verfassungs- und Grundrechts-Relativismus - im Gegensatz zu Schäubles Vorstoß hier freilich an einem Grundrecht exemplifiziert - wird ergänzt durch eine kleine Umdefinition des strittigen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus den ersten beiden Artikeln des Grundgesetzes ergibt:

Schütte: Wenn ich das zusammenfassen darf: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass es so grundrecht-schonend wie möglich geschieht. Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie?

Zypries: Doch, natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.

Vielleicht hätte die Bundesjustizministerin einen Blick in die juristische Begründung des genannten Selbstbestimmungsrechts werfen sollen, das Volkszählungsurteil BVerfGE 65, 1 des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983, statt sich zu ihrer an Rechtsbeugung grenzenden Willkürinterpretation hinreißen zu lassen:

Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.

Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art 1 Abs. 1 GG umfaßt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

Ob Zypries diesen Urteilstext wirklich kennt, wird spätestens bei ihrer Reaktion auf die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen völlig ungewiss:

Schütte: Datenschützer sagen, die Verhältnismäßigkeit bei dem ganzen ist überhaupt nicht gewahrt.

Zypries: Das ist so ein pauschaler Vorwurf. Darauf kann man so pauschal auch nichts weiter drauf sagen.

Noch einmal BVerfGE 65,1:

Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen muß. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auch hat er organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.

Offenbar ist der Vorwurf, den Datenschützer im Übrigen offensichtlich ohne Wissen der Ministerin im Justizausschuss des Bundestags sehr konkret formuliert haben, nicht so pauschal, dass nicht auch die Bundesverfassungsrichter pauschal eine "Verhältnismäßigkeit" fordern konnten. Man sollte aber annehmen, dass eine Bundesministerin der Justiz ein Maßgebliches Grundsatzurteil des obersten deutschen Gerichts kennt - der Vorwurf, der ihr nach diesem Interview zu machen ist, muss vielmehr auf die bewusste Desinformation und Verwirrung des Zuhörer und Bürger zielen, die Frau Zypries hier wissentlich betreibt.

Diese Technik ordnet sich in einen größeren Zusammenhang der Arkanisierung deutscher Politik ein: Partizipation, kritische Teilnahme am legislativen und exekutiven Geschehen und kritische Begleitung desselben, sind offenbar von den Regierenden nicht gewollt. Bürger werden verwirrt, fehlinformiert und beispielswiese nicht über die geplanten Zugriffsrechte der Musikindustrie und von 52 Drittstaaten aufgeklärt; der Rechtsausschuss tagte am 7. November unter Ausschluss der Öffentlichkeit; die Ministerin weigert sich, die Klage Irlands gegen die EG-Richtlinie offenzulegen; die heutige zweite und dritte Lesung des umstrittenen Gesetzes ist erst seit zwei Tagen publik.

Dass das Medieninteresse vergleichsweise gering ist, lässt sich nicht nur, aber auch durch diese gezielte Desinformationspolitik erklären - auch wenn die Themenwahl des aktuellen ZEIT-Leitartikels angesichts der verschiedenen heute im Bundestag debattierten Themen ein schlichtes Armutszeugnis für das immer weiter zum politischen Konservativismus tendierenden Blattes ist, auch unabhängig von der staatlichen Geheimniskrämerei.

Wenn in einer knappen Stunde im Bundestag die Debatte zum Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" beginnt, bleibt der winzige Hoffnungsschimmer, dass die Redner der Oppositionsparteien nicht in Tiraden gegen SPD, CDU und CSU verfallen, sondern die Abgeordneten der Regierungsfraktionen in persönlichen Plädoyers ein letztes mal zu einer Gewissensentscheidung gegen die Vorratsdatenspeicherung zu bewegen versuchen.

Und es steht zu hoffen, dass die Abstimung namentlich statt findet - denn nur so werden die Wähler ihre Abgeordnete nach dem heute zu erwartenden Dammbruch genauso wie Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zur Verantwortung ziehen können.

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